1. Risikofaktor Fachkräfte-Engpass für die Wohnungswirtschaft
Employer Branding ist ein thematischer Evergreen des Personalmanagements: Seit einigen Jahren wird darüber diskutiert, wie Unternehmen ihre Attraktivität als Arbeitgeber gestalten und steigern können, um die Top-Talente ihrer Branchen für sich zu überzeugen. An der Aktualität dieses Evergreens hat sich bis heute nichts geändert. Mehr noch: Durch die Coronapandemie und die damit einhergehenden Veränderungen in den Unternehmen ist klar geworden, dass Arbeitgeberattraktivität ein erfolgsentscheidender Schlüsselfaktor für die Zukunftsorientierung von Unternehmen aller Branchen ist.
Wie unter einem Brennglas zeigt sich aktuell, dass der Fachkräftemangel kein abstraktes Risiko, sondern eine reale Gefahr für den Unternehmenserfolg ist. Unternehmen ab 250 MA haben mittlerweile im Durchschnitt 145 offene Stellen im Jahr, wovon 41% schwer, fast 10 % kaum zu besetzen sind (Weitzel et al. 2020). Das gilt auch für die Wohnungswirtschaft: Laut der aktuellen INWIS/EBZ Personalentwicklungsstudie (2022) bestätigen 64% der Branchenvertreter, dass es schwierig ist, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden.
Besonders problematisch sieht es bei den Unternehmen der Haus- und Wohnungsverwaltung aus, von denen mittlerweile 90% diese Besetzungsprobleme haben (Abbildung 1).
Die Konsequenz für Unternehmen der Wohnungswirtschaft wie für alle anderen Branchen: Die Innovationskraft leidet, Aufträge können nicht bedient werden und das Angebot wird eingeschränkt mit Auswirkung auf die ökonomische Leistung: Bereits heute bestätigen 43 % der durch die Deutsche Industrie- und Handelskammer anlässlich des Reports Fachkräfte 2021 befragten Unternehmen, dass sie aufgrund des Fehlens von Fachkräften ihr Leistungsangebot einschränken, Aufträge ablehnen oder verlieren – in der Bauwirtschaft machen sogar 62% der Unternehmen diese Erfahrung (DIHK 2021).
Und mit Blick auf den Generationenmix in den Unternehmen (Abbildung 2) lässt sich prognostizieren, dass sich dieser Trend weiter verschärft angesichts des Missverhältnisses der großen Zahl von Renteneintritten der Baby-Boomer und älteren Generation X und der geringeren Anzahl potenzieller Mitarbeiter*innen der Generation Z (Angeli 2018).
Kein Unternehmen kommt vor dem Hintergrund dieser demografischen Bedrohung umhin, sich zu fragen, wie man Anreize schafft und Wege finden kann, damit potenzielle Kandidatinnen zu Mitarbeiterinnen werden.
2. Employee Experience: Zielgruppenorientierung und Beziehungsqualität
Entscheidend für die passgenaue Gestaltung dieser Anreize und Wege ist zweierlei: Erstens muss man wissen, was das Unternehmen und die Arbeit in dem Unternehmen auszeichnet, was das unterscheidbare Besondere gegenüber den Mitbewerbern der Branche und der Region ist. Zweitens benötigt man ein Verständnis für Zielgruppen, für deren Erwartungen und Einstellung zum Leben, zum Arbeiten und zu Arbeitgebern. Letzteres ist gerade aufgrund des Generationenmixes eine anspruchsvolle Angelegenheit, geht es doch darum, einen möglichst breiten Konsens zwischen den Erwartungen und Haltungen der Wirtschaftswunder-Kinder der 60er Jahre, der in deren Reformen hineingeborenen Vertreterinnen der Generation X, der Generation Y-Kinder der Jahrtausendwende und der Protagonistinnen der digitale Generation Z zu finden und zugleich spezifische Andockpunkte für die einzelnen Generationen mit ihren unterschiedlichen Prägungen und Werten zu schaffen:
- Stefanie und Christian aus der Generation X sind karriereorientiert, Selbstverwirklichung suchend und definieren Arbeit als Weg der Selbstverwirklichung mit Treue gegenüber ihrem Beruf;
- Lukas und Sarah aus der Generation Y suchen Sinn und kreative Entfaltung und sind weniger an Führungspositionen interessiert als an der Chance, Arbeit und Leben maximal zu integrieren;
- Anna und Tim aus der Generation Z sind digitale Individualisten, allerdings konservativ im wirklichen Leben; Sicherheit, Erlebnis und Sinn in ihrer Arbeit suchend, mit dem Bewusstsein, dass sie wenige sind und gebraucht werden.
Dieser Generationenmix ist eine Herausforderung für das Employer Branding, denn es gilt – die X-ler so lange wie möglich zu halten und attraktiv für die Y-er und vor allem für die Z-ler als Arbeitgeber zu sein.
Purposeorientierung in Kombination mit hybriden Arbeitsoptionen, individualisierbare Mosaikkarrieren, möglicherweise über Unternehmensgrenzen hinweg, Mitmachoptionen durch agile Projekte in Kombination mit klassischen Hierarchien – es gilt, den individuellen „Eitelkeiten“ und Singularitäten zu entsprechen und zugleich beherrschbare, ökonomisch vertretbare Personalsysteme für diesen Erwartungsvielklang aufzubauen.
Ein wichtiger Baustein für die zielgruppenbezogene Passgenauigkeit der Personalsysteme ist die Beziehungsqualität: Unternehmen haben in den letzten Jahren so viel „botisiert“, outgesourced, standardisiert und zu Self-Services gemacht, dass sie aus den Augen verloren haben, dass sie gerade von den zwischenmenschlichen echten Beziehungen leben. Darum kommen Kahn et al. (2021) zu der Erkenntnis, dass immer mehr TOP-HR-ler planen, den „Human Touch“ zurückzugewinnen durch direkte Mitarbeiterkommunikation. Sie beabsichtigen, ganzheitliche Arbeitgebererlebnisse zu schaffen, um die Erwartungen der Bewerberinnen und der Mitarbeiterinnen besser kennenzulernen und sie bindungsorientierter anzusprechen.
Daraus leitet sich ein Schlüsselkonzept eines zeitgemäßen Employer Branding ab – die Employee Experience als Fixpunkt der arbeitgebermarkenbezogenen Aktivitäten. Gemeint ist mit Employee Experience die Gestaltung aller Interaktionen und Erfahrungen von Bewerbenden bzw. Mitarbeitenden mit der Organisation und den darin handelnden Personen als Momente eines nachhaltigen, positiven Arbeitgebererlebnisses im Sinne eines „moment that matters“, eines nachhaltigen Arbeitgeber-Wow-Momentes (Hornung 2022). Im erlebnisorientierten Employer Branding ist daher die Frage zu stellen, wie die Touchpoints von Bewerbenden bzw. Mitarbeitenden als Erlebnismoment begriffen und mit authentischen, zielgruppenspezifischen Wow-Effekten gestaltet werden können.
Morgan (2017) hat verdeutlicht, dass dafür drei Erlebnisräume eines Unternehmens zu betrachten sind (Abbildung 3), nämlich
- die Unternehmenskultur mit der gelebten Führung, den handlungsrelevanten Werten, dem praktizierten Stil der Kommunikation und der Zusammenarbeit,
- die verwendete Technologie mit ihrer Hardware, ihrer Software und den eingesetzten Tools,
- die räumlichen Gegebenheiten mit der Gebäudearchitektur, der Gestaltung der Räumlichkeiten und der Ausstattung des Arbeitsortes.
Diese Stellhebel gilt es zu nutzen, um entlang der zentralen beruflichen und privaten Lebensereignisse der Mitarbeitenden die Besonderheiten des Arbeitgebers spürbar zu machen.
Dass dieses Unterfangen für Unternehmen einen Mehrwert bringt, hat Morgan (2017) eindrucksvoll nachgewiesen: Es steigt das Mitarbeiterengagement, es steigt die Kundenzufriedenheit und schließlich der wirtschaftliche Unternehmenserfolg: Unternehmen, die in Employee Experience investieren, haben unter anderem einen vierfach höheren Gewinn pro Mitarbeiter*in (Abbildung 4).
3. Gelebte Arbeitgebermarken entlang der Employee Journey
Unter dieser Perspektive geht es beim Employer Branding darum, eine konsistente Employer Brand zu planen, zu gestalten, zu steuern und in Maßnahmen der Personalkommunikation und des Personalmanagements umzusetzen, um eine einheitliche arbeitgeberbezogene Employee Experience entlang der zentralen Erlebnispunkte entlang der Employee Journey zu schaffen und das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber erlebbar zu positionieren, Bewerberinnen anzusprechen und Mitarbeiterinnen zu binden (Abbildung 5).
Entscheidend ist dafür, dass ein durch die Arbeitgebermarke disponiertes einheitliches Arbeitgebererlebnis in Interaktion und organisationalen Erfahrungen geplant und umgesetzt wird, wobei neben der Ausgestaltung der Kontaktpunkte entlang der Employee Journey auch die zielgruppenspezifischen Anforderungen zu beachten sind. Um das zu erreichen, sind drei Schritte notwendig:
Erstens muss das Unternehmen eine Arbeitgebermarke definieren. Das bedeutet, dass es verfahrensbasiert festzulegen gilt, welches Alleinstellungsmerkmal, welches Nutzenversprechen und welche Persönlichkeitsattribute die Arbeit in dem Unternehmen angemessen charakterisieren (Abbildung 6).
Zweitens ist es notwendig, die Zielgruppe genauer einzugrenzen, auf die sich die Erlebnisgestaltung in besonderem Maße beziehen soll. Das kann nach branchenbezogenen, nach generationsbezogenen, aber auch nach berufserfahrungsbezogenen Kriterien geschehen. Mit dieser Eingrenzung lassen sich dann auf Basis von Studien Erwartungshaltungen ableiten, wie beispielsweise mit wohnungswirtschaftsbezogenen Attraktivitätsfaktorenstudien der EBZ (Abbildung 7). vgl. Armutat, Grebe 2019.
Drittens lassen sich jetzt die einzelnen Kontaktpunkte entlang der Employee Journey nach den Anforderungen der Employer Brand, den Zielgruppenerwartungen und den tatsächlichen Unternehmensgegebenheiten analysieren, um so Ansatzpunkte für die zielgruppenspezifische, erlebnisorientierte Gestaltung zu bekommen (Abbildung 8).
Dadurch wird es möglich, ein zielgruppenorientiertes, authentisches Arbeitgebererlebnis zu schaffen, das sich positiv auf die Rekrutierungs- und Bindungsprozesse im Unternehmen auswirkt.
Litertatur
Angeli, M. (2018). Generationen-Management und Mitarbeiterbindung. In: Gr .Interakt. Org. (2018) 49, S. 347-359. https://doi.org/10.1007/s11612-018-0438-2 (Zugriff: 30.9.2022)
Armutat, S. (2018). Employer Branding – die Arbeitgebermarke im KMU gestalten. In: Armutat, S. et al. (Hrsg.): Personalmanagement in Zeiten von Demografie und Digitalisierung. Wiesbaden, S. 163-192.
Armutat, S., Grebe, R. (2019). Das EBZ-Arbeitgeberattraktivitätsmodell. Wertschätzung toppt Gehalt – was die Wohnungswirtschaft attraktiv macht. In: Die Wohnungswirtschaft 72(11) 2019, S. 64-67.
Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHK) (2021): Fachkräfteengpässe schon über Vorkrisenniveau: DIHK-Report Fachkräfte 2021. Unter: https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/beschaeftigung/fachkraeftereport-2021. (Zugriff: 30.09.2022)
InWIS Forschung & Beratung GmbH (InWIS): Europäisches Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ) (2022). Human Resources Monitor Immobilienwirtschaft. Ergebnisbericht zur Branchenbefragung Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Bochum, S. 16.
Hornung, S. (2022). Momente, auf die es ankommt. In: Personalmagazin, 06/2022, S. 22-23.
Khan, T.; Komm, A., Maor, D.; Pollner, F. (2021). Back to human’: Why HR leaders want to focus on people again. Unter: https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/back-to-human-why-hr-leaders-want-to-focus-on-people-again (Zugriff: 30.09.2022)
Morgan, J.P. (2017). Why the Millions We Spend on Employee Engagement Buy Us So Little. In: Harvard Business Review https://hbr.org/2017/03/why-the-millions-we-spend-on-employee-engagement-buy-us-so-little (Zugriff: 30.09.2022)
Weitzel, T., Maier; C., Oehlhorn, C.; Weinert, C.; Wirth, J.; Laumer, S. (2020). Employer Branding. Ausgewählte Ergebnisse der Recruiting Trends 2020, Research Report, Otto-Friedrich-Universität Bamberg.